Kalte Tage und kognitive Dissonanz

Hä? Was war das Zweite? Kognitive Dissonanz ist ein Fachwort der Psychologie für dieses unangenehme Gefühl, das ich habe, wenn ich in die Ferien fliege und gleichzeitig weiss, dass ich damit den nächsten Wirbelsturm anheize. Dieses Dissonanz-Gefühl lässt sich relativ gut mit verschiedenen Strategien vertreiben:

1. Ich beruhige mich mit dem Wissen, dass ich meine Abfälle trenne und so viel wie möglich ins Recycling gebe. Damit habe ich meinen Beitrag geleistet.
2. Ich trinke ein Glas Wein und sage mir, im Leben kann man nicht immer korrekt sein. Darf man denn keinen Spass haben?
3. Ich zweifle an den Ergebnissen der Klimaforschung. Schliesslich waren die letzten Tage und der ganze letzte Winter eiskalt.
4. Ich sage mir, alle anderen tun das auch. Sogar die Bewohner der Philippinen würden um die Welt reisen und Auto fahren, wenn sie könnten.

Welche Strategie haben Sie? Grundsätzlich sind wir Menschen sehr kreativ, wenn es darum geht, unser Verhalten zu rechtfertigen. Wir basteln uns ein Argumentarium und passen unsere Werte vorübergehend an, um nicht in Erklärungsnot gegenüber uns selber zu kommen.

„Schon wieder Fleisch zum Mittagessen? In der Kantine gab’s sonst nichts rechtes. Und einheimisches Fleisch ist doch gar nicht so schlimm, mein Cousin macht auch Mutterkuhhaltung.“

Haben wir eine Entscheidung gegen unsere Überzeugung getroffen, so verteidigen wir sie dennoch heftig. Bis wir sie am Ende richtig gut finden, diese Entscheidung. Zum Beispiel: Wir haben ein Ding gekauft, das wir nicht brauchen, made in arbeiterrechtsloser Fabrik, nur weil das Ding grad so billig war. Wie schnell sind wir dabei, uns Erklärungen auszudenken, warum genau dieses Ding unheimlich praktisch ist, nur falls dann jemand zuhause fragt?

Mit so viel Psychologie muss sich auch die Klimapolitik auseinandersetzen. Denn Privatpersonen, Unternehmen und Staaten überlisten sich gleichermassen, indem sie kognitive Dissonanzen mit kurzsichtiger Schlauheit unter den Tisch fegen. Die Ergebnisse des aktuellen IPCC-Klimaberichtes liefern uns die nötigen Informationen, die wir brauchen um zu begreifen, dass es wirklich nicht klug ist, frischfröhlich CO2 in die Luft zu pusten. Also, weit zu pendeln, brasilianisch gefüttertes Fleisch oder Palmöl-Fertigpizzas zu essen und nach Australien zu fliegen. Tun wir das trotzdem, so haben wir Tomaten auf den Augen, Petersilie in den Ohren oder wir überzeugen uns selbst mit unglaublichen Ausreden. Kluge Klimapolitik würde also Menschen und Unternehmen dazu auffordern, ihre Vision und ihre Werte offenzulegen und gleichzeitig fördern, dass sie die alltäglichen Entscheidungen daran ausrichten – dissonanzfrei.

Jürgen Schulz

 

 

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