Das Tabu Wirtschaftswachstum

Es ist nicht möglich, dass alle Unternehmen und Volkswirtschaften ständig weiterwachsen. Das Mantra exponentielle Wirtschaftswachstum ist der elementare Treiber für die Umweltzerstörungen. Auf einem begrenzten Planeten kann es kein exponentielles, sprich dauerhaftes Wachstum geben. Nirgends in der Natur wächst ein Organismus unbegrenzt weiter.

Die Schweiz ist weitgehend zugebaut, unsere Schränke sind übervoll mit Konsumgütern. Immer mehr materielle Güter anzuhäufen befriedigt viele nicht wirklich und führt zu Sinnkrisen. Der Arbeitspsychologe Theo Wehner meint dazu: «Als soziale Wesen leben wir hauptsächlich von Anerkennung und Resonanz – und Resonanz bedeutet eben auch, dass wir das Resultat unseres Tuns sehen und dieses für schön und sinnvoll halten».

Wirtschaftswachstum führt also zu ökologischen und gesellschaftlichen Problemen. Trotzdem hofft jedes Unternehmen auf noch mehr Umsatz. Trotzdem ist Wachstum das Rezept, um Aktionäre zufrieden zu stellen. Trotzdem wird jede News zu einer Wachstumsprognose in den Medien mit «Hoffnung», «optimistisch», «Jubelstimmung» kommentiert.

Der Widerspruch ist offensichtlich.

Aha, aber was dann? Irgendwann hat ein Unternehmen eine Grösse erreicht, mit der es sich gut positionieren kann, eine sinnvolle Arbeitsteilung im Betrieb, eine Anzahl erfolgreicher Produkte und genug finanzielles Polster hat. Dann müsste es eigentlich nicht mehr wachsen. Glaubenssache? Im «Echo der Zeit» vom 17.12.2013 erklärt Milan Prenosil, CEO von Confiserie Sprüngli: «Man will ja keinen Stillstand. Stillstand ist unsexy. Wir als Familiengesellschaft sind aber nicht gezwungen aus irgendwelchen fremden Gründen zu wachsen. Wir wachsen dann, wenn wir Chancen, Opportunitäten sehen».

Es ist erstaunlich, dass es bisher so wenige Veranstaltungen und Publikationen gibt, welche wachstumsneutrale Lösungen für Unternehmen präsentieren. Der absehbare Umbau der Wirtschaft, d.h. dass wir uns auf tiefe(re) Wachstumsraten einstellen müssen, findet ja auch auf betriebswirtschaftlichem Niveau statt. In der Schweiz forscht Irmi Seidl, Umweltökonomin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf zu diesem Thema: «Wir könnten auch ohne Wirtschaftswachstum gut leben», sagt sie. Im neu erschienenen Buch «Mut zu Visionen. Brücken in die Zukunft» der Reihe Jahrbuch Ökologie, Ausgabe 2014, legt sie dar, dass sehr grosse Unternehmen einen enormen Koordinationsaufwand hätten, um die vielen verschiedenen Bereiche zu verbinden. KMU könnten sich diesen sparen. Ausserdem seien dort die Mitarbeitenden tendenziell motivierter und weniger an der Selbstbereicherung orientiert. Schon allein diese Qualitäten wären Grund genug, ein Unternehmen eher klein zu halten.

Qualitatives Wachstum oder Nachhaltiges Wirtschaften als Unternehmensvision kann durchaus Erfolg haben. Wir haben dazu einige Möglichkeiten zusammengestellt:

  • Starke Beteiligung der Arbeitnehmenden am erwirtschafteten materiellen Unternehmensgewinn.
  • Eine hohe Produktqualität entwickeln.
  • Kundenbindung über Sympathie zur Unternehmensphilosophie und zu zufriedenen, kompetenten Mitarbeitenden.
  • Eine hoch entwickelte Kommunikation, d.h. bestimmte Umgangsformen intern und mit allen Anspruchsgruppen einer Unternehmung einführen. 
  • Langfristige Zulieferbeziehungen pflegen und die vorgelagerten Betriebe kennen.
  • Einen möglichst geringen ökologischen Fussabdruck über alle Aktivitäten der Unternehmung und seiner Mitarbeitenden anstreben.
  • Sinnvolle Arbeitsinhalte und -zeiten definieren. Weiterbildung auf allen Stufen.
  • Körperliche und seelische Gesundheit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern.
  • Lernende und Menschen mit Einschränkungen in den Betrieb integrieren.

Diese Liste wäre noch erweiterbar – es fehlt also nicht an Rezepten für qualitatives Wachstum. Orientiert sich ein Unternehmen an solchen Werten, so befreit es sich damit einerseits vom Wachstumszwang und der einseitigen Ausrichtung auf mehr Umsatz. Andererseits bereitet es sich auf weniger Wirtschaftswachstum vor und ist bereits Teil der Zukunft.

Jürgen Schulz

 

 

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